Tides and Trees

Grenzgänge, Übergänge, Durchgänge: Sie begleiten mein Werk seit vielen Jahren.

Es ist diese Spannung von Ungewissheit und Neugier auf das noch nicht Sichtbare, Verborgene, das Neue. Im Zwischenraum von Erinnerung und Zukunft schweben wir ohne Gegenwart im Transit.

In den monographischen Ausstellungen Transit und Erinnerungen erforschte ich bereits intensiv diese Bewegungen und Muster.

Die Auseinandersetzungen mit dem Tod im Leben und die letzte große Arbeit Memories sind im Prinzip alle als Reisen zu verstehen, als bewegte Zeugnisse mit dem Wunsch nach Transformation, nach Ganzheit – und Heilung, die ich seit meiner Kindheit in der Natur und insbesondere im Dialog mit den Bäumen, den Flüssen, dem Meer und den Gezeiten finde.

Die neue Werkgruppe Tides and Trees ist geboren aus diesen intensiven Erfahrungen der vorangegangenen Werkgruppen und stellt sich neuen Herausforderungen von Zeit und Raum – dem Zustand der Welt.

Tides, Gezeiten, der ewige Wandel von Ebbe und Flut, verursacht durch die Gravitationskraft des Mondes, ist eine universelle, überirdische Erfahrung und betrifft wie übertrifft alles Leben auf der Erde gleichermaßen.

Praktisch alle Gefühlsebenen werden bei der Auseinandersetzung mit den Gezeiten aktiviert. Neues kommt, Altes geht. Erinnerungen werden wie Strandgut an- und weggespült. Hier finden sich Leben und Sterben in einem Atemzug – gewaltig und atemberaubend.

Trees, Bäume, haben wegen ihrer physischen und spirituellen Symbolkraft in nahezu allen Kulturen der Welt eine hohe Bedeutung. Wurzeln und Stamm versinnbildlichen Stabilität, Festigkeit und Halt, während die Krone das Irdischemit dem Himmel – und damit auch mit dem Jenseits – verbindet. Bäume sind Erinnerungsspeicher über Generationen hinweg. Ihre Jahresringe machen Zeit konkret sichtbar. Wir sprechen von Familienstammbäumen und bestatten die Asche unserer Toten im Wurzelreich der Bäume in Friedwäldern.

Insbesondere in Gegenden, wo Bäume und Wälder bis an das Meer reichen, bilden sie erstaunliche Schutzräume vor Sturm und Erosionen aller Art.

In Zeiten großer Unsicherheit und innerer Schutzlosigkeit können Bäume Orte der Zuflucht und der Geborgenheit sein.

Tides and Trees ist eine prozessuale Arbeit, die von großer Offenheit und künstlerischer Vielfalt geprägt ist. In ihrem Wesen sucht sie das Bekannte wie Unbekannte und erforscht neue Ausdrucksweisen, die über das Sagbare und Greifbare hinaus gehen. Die vorliegende Werkgruppe ist 2025 an verschiedenen Orten in Europa entstanden. Sie wird kontinuierlich erweitert und aktualisiert.

Olaf Schlote im Juli 2025