Über die Ausstellung „Resonanzen. Künstlerische Perspektiven auf das Kloster Bursfelde. Bilder von Olaf Schlote“

Ein Engel scheint auf. Er ist kaum als solcher erkennbar, so hell und licht ist er, so überaus hell und licht. Eine undeutliche, eine unklare Existenz.

Gibt es ihn überhaupt? Nein. Nicht in dem Sinn, wie es eine Schwalbe gibt, so wie in der Scheune gegenüber der Klosterkirche Bursfelde, eine Schwalbe, die ihr Nest verlässt, fliegt, in es hineinschlüpft. Nein. Nicht wie es eine Krume Brot gibt, einen Schluck Wasser oder Wein, die munden. Nein. Aber es gibt ihn als Bild, ebendort, in der Klosterkirche Bursfelde.

Von dem Bild des Engels hat Olaf Schlote ein Bild gemacht. Er ist „Photograph“, das ist Griechisch, das heißt übersetzt: Er ist „Lichtbildner“. Dadurch dass er das Bild des Engels überaus licht und hell „ablichtet“, verklärt er ihn, er macht ihn zur „Lichtgestalt“.

Die Position des Photographen Schlote ist die des Graphikers und Malers Klee, der schrieb, seine schöpferische Konfession sei die, als Künstler nicht etwas Sichtbares wiederzugeben, sondern etwas sichtbar zu machen. Das Credo klingt, wie für Credos nicht unüblich, absolut, entweder ist man auf der einen Seite (die der Interpretation der Wirklichkeit) oder auf der anderen Seite (die der Dokumentation derselben). Dazwischen gibt es die goldene Mitte. Schlote wie Klee gehen hier den Weg mehr in die erste Richtung als in die zweite.

Was sonst sollten sie auch tun, wollten sie Engel darstellen? Wie würden Sie es tun, verehrte Leserin und geehrter Leser, wie würden Sie eine solche Transzendenz ins Bild setzen? Lässt sich die Lichtgestalt mit den Mitteln der Lichtbildnerei nicht besser sichtbar machen als durch Überbelichtung? Eine andere Idee? Welche?

Die Klosterkirche Bursfelde ist zweigeteilt. Auf der einen Seite, links vom Eingang, eine klassische Kreuzigungsgruppe aus Holz. Auf sie antwortet auf der anderen Seite, rechts, nun eine moderne weitere Kreuzigungsgruppe. Ein photographisches, ein dreiteiliges Bild Schlotes, ein verschlüsseltes Altarbild. Es zeigt keinerlei Figuren, es zeigt nur Holz, Holz aus der Umgebung. Nur wer erstens die Bibel kennt, wer zweitens das eine oder andere Altarbild kennt, wer drittens andernorts in der Ausstellung einen Torso eines Baumes sieht (auch aus der Umgebung, ein Torso, der aussieht wie der Stellvertreter des Gekreuzigten), nur diejenige oder derjenige wird den Schlüssel kennen, dieses Bild als Altarbild zu deuten.

Etwas zu deuten, ist eine Frage der Bildung. Wer die Mathematik nicht kennt, kann nicht eins und eins zusammenrechnen. Und wer die Bibel nicht kennt, kann sich in der Darstellung des Abendmahls Leonardos höchstens zusammenrechnen, dass sich eine gewisse Gesellschaft von Menschen nicht gut versteht, vermutlich wegen des Beutels auf dem Tisch. Niemand hat einen blassen Schimmer, was darin ist, niemand hat einen blassen Schimmer über den Inhalt des Werkes.

Und niemand hat einen Schimmer, wie es endet, nach dem Abendmahl. Der Künstler schuf hierzu drei Leuchtkästen. Es endet hell und licht, überaus hell und licht. Himmelfahrt. Den Blick auf den Boden geneigt, den vereisten Boden, auf den sich das Licht des sonnigen Himmels bricht.

Frank Laukötter